Frankreich – Deutschland – Grand Est – Baden-Württemberg

In der militärischen Forschung ist die deutsch-französische Zusammenarbeit kein Tabu mehr

Seit fast 70 Jahren war ISL sehr diskret in Anbetracht seiner Aktivitäten, doch nun ist das deutsch-französische Forschungsinstitut Saint-Louis sehr offen über seine Rolle in der Verteidigung. Diese Entwicklung, die durch den Wandel der deutschen Haltung bedingt ist, verleiht diesem Grenzstandort eine bedeutungsschwere binationale Dimension.

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© André Faber

Im Herzen der Stadt Saint-Louis, an der Südspitze des Elsass, betreibt das ISL seit 66 Jahren militärische Forschung. Das Institut bleibt diskret, nur selten öffnet sich die Festung. Eine solche Gelegenheit ergab sich am 30. September, als eine Delegation von Abgeordneten aus Baden-Württemberg auf Einladung der Region Grand Est zu Besuch kam. Die Einrichtung ist deutsch-französisch, was sie angesichts ihres Tätigkeitsfeldes noch einzigartiger macht. Ihre deutsche Komponente, die sich lange versteckt hielt, zeigt sich nun zunehmend. Der Grund für diese Wende ist bekannt: der Krieg in der Ukraine.

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Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.© Gruene Bade-Wurtemberg.

Vor dem Konflikt war Verteidigung ein Zuständigkeitsbereich des Bundes, und für die Länder nur ein Randthema. Nun hat sich die Lage geändert. Dafür benötigen wir Spitzenforschung, wie sie hier am ISL betrieben wird“, erklärte Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, am 30. September.

400 Forscher

Die Forschung und Entwicklung findet an der Grenze zwischen beiden Ländern statt – und zwar seit 1959, nur 14 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dank eines Vertrags, der von den damaligen Verteidigungsministern Michel Debré und Franz-Josef Strauss unterzeichnet wurde. Dieses Dokument stattete die Einrichtung mit einem eigenen Rechtsstatus und einer binationalen Leitung aus, ähnlich wie der Flughafen Basel-Mülhausen zwischen Frankreich und der Schweiz zehn Jahre zuvor. Die 400 Mitarbeiter, darunter Ingenieure, Techniker und Doktoranden, von denen mehr als 70 % einen speziellen Arbeitsvertrag nach französischem Recht haben, verfügen über beträchtliche Mittel: Das jährliche Budget beträgt 50 Millionen Euro. Es wird in gleichem Anteil von beiden Staaten finanziert und umfasst durchschnittliche jährliche Investitionen von 7 Millionen Euro für die Modernisierung und Erweiterung der Ausstattung. Die Arbeiten gehören zur Grundlagenforschung, doch ihre Ergebnisse müssen schnell Anwendungen für die Streitkräfte beider Länder oder die Rüstungsindustrie finden.

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Bernd Michael Fischer, stellvertretender Direktor des ISL. © Mathieu Noyer

Die Interdisziplinarität des ISL zeichnet uns aus. Hier kommen Optik, Photonik, Ballistik, Thermodynamik und Aerodynamik zum Einsatz“, erläutert Bernd Michael Fischer, stellvertretender Direktor des ISL.

Railgun

Konkrete Beispiele für aktuelle Projekte sind neue Sprengstoffe, Lasertechniken für Beleuchtung oder Lenkung, akustische Systeme zur Erkennung von Bewegungen. Viele davon betreffen Navigation und optische Informationen: Zielidentifikation, Navigationssysteme, die auch bei Ausfall von GPS und GNSS (Satellitennavigation) funktionieren. Die Entwicklung von Waffen gehört nicht zum Aufgabenbereich des ISL.

Es gibt auch ein Leuchtturmprojekt, „Railgun“. Das Prinzip besteht darin, eine Kanone zwischen zwei Schienen zu platzieren, die entlang der gewünschten Flugbahn ausgerichtet werden und den Geschossen vervielfachte Fähigkeiten verleihen. Mit einer Reichweite von 200 Kilometern werden die Geschosse mit Mach 8 (achtmal so schnell wie der Schall), also 3.000 Meter pro Sekunde, abgeschossen. Die aktuellen Entwicklungen zielen darauf ab, in zwei Jahren ein Prototyp für Industriepartner wie die französische Naval Group und den deutsch-französischen Konzern KNDS vorzulegen.

Fokus liegt auf Drohnen

Historisch gesehen widmet sich das ISL der Armee und insbesondere ihrer Artillerie. Doch da die Interaktionen ständig zunehmen, richten sich die Arbeiten zunehmend auf Marine und Luftfahrt. Die entscheidende Rolle, die Drohnen in den Arsenalen von Angreifern und Verteidigern eingenommen haben, ist den Forschern in Saint-Louis und ihren Aufsichtsbehörden natürlich nicht entgangen. Sie nehmen einen immer größeren Platz in ihren Arbeiten ein, um Systeme zu verbessern, die Drohnen abfangen, ihre Flugbahn ablenken oder sogar durch „Swarming“ (Schwarmbildung) einen vollständigen Drohnenschwarm wiederherstellen können, sobald eine Drohne abgeschossen wurde.

Sprungbrett für die Zusammenarbeit

Kann ein solches Zentrum für Fachwissen auf einem leider wieder hochaktuellen Gebiet eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den beiden Regionen auslösen, deren Schnittpunkt Saint-Louis bildet? Der Besuch der Delegationen hat beiden Seiten Ideen gegeben.

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Franck Leroy, Franck Leroy, Präsident der Region Grand Est. © JL Stadler / Région Grand Est.

Wir können gemeinsam viel weiter gehen und hier Synergien für eine europäische Herausforderung schaffen. Aber wir müssen vorsichtig vorgehen, denn wir kommen aus unterschiedlichen Kulturen und Geschichten, mit einem viel ausgeprägteren Pazifismus jenseits des Rheins. Mit dem ISL verfügen wir über ein einzigartiges Instrument, aber weder Frankreich noch Deutschland allein werden die Frage lösen können“, erklärt Franck Leroy, Präsident der Region Grand Est.

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Petra Olschowsky, Ministerin für Wirtschaft und Forschung in Baden-Württemberg. © Lena Lux Fotografie & Bildjournalismus.

Forschungseinrichtungen, die bereits Expertise im Bereich Verteidigung haben, gibt es in Baden-Württemberg, etwa an der Universität Stuttgart oder am KIT in Karlsruhe. Doch sie arbeiten oft isoliert. Sie müssen sich vernetzen, um dem starken Innovationsdruck zu wiederhalten. Warum sollten sie ihren Blick nicht auch auf die andere Rheinseite richten? Auf jeden Fall muss es mehr Vertrauen geben“, betont Petra Olschowsky, Ministerin für Wirtschaft und Forschung in Baden-Württemberg.

Das ISL selbst fördert ein solches grenzüberschreitendes Netzwerk. Zu seinen Partnern zählen die Université de Haute-Alsace (Universität Oberelsass) sowie drei Stellen des Fraunhofer-Instituts.

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© ISL.

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