Baden – Elsass

Auf der Julius-Leber-Brücke tanzt „Brücke für die Zukunft“ zur Erinnerung an den Frieden

Am Samstag, den 17., und Sonntag, den 18. Mai, werden 130 französische und deutsche Schüler*innen, die am Projekt Brücke für die Zukunft beteiligt sind, im Art Rhéna in Vogelgrun sowie auf der Brücke von Breisach am Rhein tanzen, die zu Ehren des Widerstandskämpfers Julius Leber umbenannt wird – zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs.

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Schüler*innen während eines Tanzworkshops mit der Battery Dance Company aus New York im Rahmen des Projekts Brücke für die Zukunft. © Kerstin Pommerenke

Journalist und Abgeordneter, der aus dem Elsass stammende Deutsche Julius Leber kannte die Macht der Worte. „Heute ist das Elsaß eine Schranke zwischen Deutschland und Frankreich, morgen soll es eine Verbindungsbrücke zwischen beiden sein“, schrieb er 1925. Zwanzig Jahre später wurde der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime von dessen Handlangern hingerichtet. Am Sonntag, den 18. Mai, wird die Rheinbrücke bei Breisach am Rhein, wo Julius Leber einst zur Schule ging und die heute die beiden ehemaligen Feindnationen verbindet, nach ihm benannt. An diesem Tag – und bereits am Vortag – werden rund 130 Schülerinnen und Schüler auf dem Brückenbauwerk und im grenzüberschreitenden Kulturzentrum Art Rhéna in Vogelgrun das Ende des Zweiten Weltkriegs auch tänzerisch würdigen.

Eine neue Bedeutung für den 8. Mai

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Amélie Kratz, Projektassistentin von Brücke für die Zukunft, einem Projekt der Blaues Haus in Breisach. © Romain Gascon

„Die Gesamtheit der Veranstaltungen verleiht dem 8. Mai neuen Sinn, insbesondere für die Deutschen. Wir gedenken 80 Jahren Frieden und der Befreiung vom nationalsozialistischen Joch – für alle“, betont Amélie Kratz, Projektassistentin von Brücke für die Zukunft, einem Projekt der Blaues Haus in Breisach.

Der 8. Mai, der „Tag des Sieges“ von 1945, ein Feiertag in Frankreich, geht heutzutage in Deutschland weitgehend unbeachtet vorüber. In diesem Jahr wurde in Breisach „eine kleine Gedenkveranstaltung organisiert, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen“, erzählt Amélie Kratz. Der Bürgermeister von Breisach, Oliver Rein, sowie Mitglieder des Blauen Hauses nahmen teil, und es wurden Fotos der zerstörten Stadt ausgestellt.

Das Blaue Haus, das in Breisach ansässig ist, bewahrt das Erbe der lokalen jüdischen Gemeinde und damit auch das Gedächtnis des Oberrheins. Der Verein trägt außerdem das Gedächtnis- und Bildungsprojekt „Brücke für die Zukunft“, das im vergangenen Herbst ins Leben gerufen wurde. Das Projekt nimmt seinen Ausgangspunkt an der Breisacher Rheinbrücke, über die die 5.600 badischen Juden, die von den Nazis vertrieben wurden, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in das französische Internierungslager Gurs transportiert wurden.

Ein Moment über dem Rhein schwebend

Die Initiative zur Umbenennung der Brücke zwischen Breisach am Rhein und Vogelgrun stammt von den beiden benachbarten Kommunen, der badischen Stadt Breisach am Rhein (Alt-Breisach auf Französisch) und der elsässischen Gemeinde Biesheim, wo Julius Leber 1891 geboren wurde, sowie von der französischen Gemeindeverwaltung Alsace-Rhin-Brisach. An diesem Sonntag wird der Fahrzeugverkehr auf dieser wichtigen Verkehrsachse, die das Elsass mit dem Baden verbindet, für einige Minuten unterbrochen.

In diesem Moment über dem Rhein werden die lokalen Politiker diese Gedenkfeier mit Worten begehen. Die jungen Tänzer werden sie mit ihren Körpern feiern. Sie werden eine kurze Version des Stücks präsentieren, das sie mit der Battery Dance Company erarbeitet haben. Diese New Yorker Einrichtung hat eine besondere pädagogische Methode entwickelt, die den Namen „Dancing for Trust“ trägt und den Teilnehmern hilft, sich durch Tanz mit historischen Ereignissen auseinanderzusetzen. Die Aufführung der Schüler, ergänzt durch eine Performance von Profis, wird in voller Länge am 17. und 18. Mai in Art Rhena gezeigt.

Graphic Novels, Erinnerungskoffer und Rap

„Brücke für die Zukunft“, das noch bis zum kommenden Herbst läuft, hat bereits mehrere bedeutende Höhepunkte erlebt. Auf der Grundlage von Biografien von Opfern der nationalsozialistischen Diktatur haben 300 badische und elsässische Schüler*innen gemeinsam mit der deutschen Lehrerin Sandra Butsch Graphic Novels erstellt und zusammen mit der französischen Künstlerin Francine Mayran Erinnerungskoffer gestaltet. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wurden Anfang April im Art Rhéna ausgestellt, wo sich 250 der Beteiligten versammelten.

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Die Gymnasiasten stellten am 2. April in Art Rhena ihre von authentischen Biografien inspirierten Graphic Novels aus. © Kerstin Pommerenke

Bei dieser Gelegenheit setzten sich die deutschen Schulklassen unter anderem mit den Stolpersteinen in Neuf-Brisach auseinander – jenen Gedenksteinen, die vor den letzten Wohnorten von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ins Pflaster eingelassen sind. Die französischen Klassen besuchten das Blaue Haus. Einige der Schüler*innen traten auf der Bühne des Kulturzentrums gemeinsam mit der zweisprachigen Rapgruppe Zweierpasch auf, die auch einen Schreibworkshop leitete. Ein für alle offener Wettbewerb mit dem Titel „Memorial“, der von der Hamburger Künstlerin Sigrid Sigurdsson unterstützt wird, lädt dazu ein, in unterschiedlichsten Formaten über Wege nachzudenken, wie an die 1940 deportierten badischen Jüdinnen und Juden erinnert werden kann.

Wanderausstellung

Art Rhena bietet regelmäßig Veranstaltungen mit grenzüberschreitender, zweisprachiger oder erinnerungskultureller Ausrichtung an – darunter auch Theaterstücke des grenzüberschreitenden Ensembles Baal Novo. An diesem Wochenende zeigt der Veranstaltungssaal in Vogelgrun erneut die Ausstellung „Julius Leber: Von Elsass zum deutschen Widerstand“, die bereits im Januar an gleicher Stelle eröffnet wurde. Diese Wanderausstellung wurde auf Initiative der Communauté de communes Alsace Rhin Brisach sowie der Städte Breisach am Rhein und Biesheim konzipiert. Sie entstand in Zusammenarbeit mit einer deutsch-französischen Arbeitssgruppe unter der wissenschaftlichen Leitung des Kurators und Politikwissenschaftlers Dr. Marvin Gamisch.

Wissenschaftliche Partnerschaften

Art Rhena war im Januar auch Schauplatz einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wie lässt sich eine grenzüberschreitende Erinnerung an Krieg und Nationalsozialismus gestalten?“. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Zyklus „Leben im Krieg und in der Diktatur. Elsass 1939–1945“ statt, der gemeinsam von der Forschungseinheit UMR 3400 Arche der Universität Straßburg und den Archiven des Elsass der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass organisiert wurde.

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Frédéric Stroh, Historiker und assoziiertes Mitglied der UMR 3400 sowie Mitorganisator des Zyklus „Leben im Krieg und in der Diktatur“. DR

„Zunehmend erfolgt der Aufbau historiografischer Narrative und kollektiver Erinnerung im Oberrheingebiet und in der Großregion auf grenzüberschreitender Ebene. Das bedeutet, dass Akteure beiderseits der Grenze gemeinsam Überlegungen anstellen und Partnerschaften eingehen müssen – wie es diese Veranstaltung in Art Rhena deutlich gemacht hat“, erklärt Frédéric Stroh, Historiker und assoziiertes Mitglied der UMR 3400 sowie Mitorganisator des Zyklus „Leben im Krieg und in der Diktatur“.

Im Rahmen dieser Veranstaltung stellte Amélie Kratz das Projekt Brücke für die Zukunft vor. Darüber hinaus präsentierten ein Lehrer des Kolleg Sankt Sebastian in Stegen, Claudius Heitz, und eine Schülerin die historische Untersuchung, die sie gemeinsam mit ihren Mitschüler*innen zur Migration einer badischen Familie auf einen elsässischen Bauernhof durchgeführt haben. Philipp Didion, Doktorand an der Universität des Saarlandes, zeichnete die Geschichte der jüdischen Familie Scheuer zwischen der Pfalz und dem Elsass nach.

Zwei Stolpersteine für ein elsässisch-badisches homosexuelles Paar in Straßburg

Der Historiker Frédéric Stroh, Verfasser einer Dissertation mit dem Titel „Justiz und Homosexualität im Nationalsozialismus: Eine vergleichende Studie zwischen Baden und dem Elsass“, hebt eine weitere bemerkenswerte grenzüberschreitende Gedenkveranstaltung hervor, die an diesem Freitag, dem 16. Mai, in Straßburg stattfindet. Zwei Stolpersteine werden im Stadtzentrum für ein Paar verlegt – den Elsässer Eugène Eggermann und den Badois Josef Martus, die 1942 Opfer der Repression wurden. Die Stadt Stuttgart, in der Josef Martus hingerichtet wurde, wird bei der Zeremonie vertreten sein.

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Einer der „Erinnerungskoffer“, den die Schüler*innen zusammen mit der französischen Künstlerin Francine Mayran gestaltet haben. © Kerstin Pommerenke

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