Die Grenzkontrollen wirken sich auf die Wirtschaft aus
An einigen Grenzpunkten erschwert die Wiedereinführung der Grenzkontrollen das Leben der Grenzgänger und Unternehmen, insbesondere seit deren Verschärfung durch Alexander Dobrindt. Ein paar Stimmen erheben sich zwar dagegen, doch die bundesweite Politik ignoriert sie.

Die Entscheidung von Alexander Dobrindt, Innenminister der Merz-Regierung, am 8. Mai die Grenzkontrollen zu verstärken, hat den Verkehr zwischen Straßburg und Kehl durcheinandergebracht. Auf der Brücke, die die Städte vereint, bildeten sich vor einem Jahr die ersten Fahrzeugschlangen mit der Einführung der Kontrollen während der Fußball-EM. Seither sind sie noch länger geworden und haben sich dauerhaft in den Alltag der Pendler eingefügt.
Autos, Busse, Straßenbahnen und Züge... die Grenzgänger erleben vergessene Szenen, das an eine vergangene Zeit erinnert. Die Unternehmen passen sich von Tag zu Tag an und versuchen, ihre Beschwerden an die lokalen Abgeordneten weiterzuleiten.
Kontrollen in Belgien
Andere Grenzpunkte leiden unter denselben Problemen, insbesondere zwischen Luxemburg und Deutschland, und die Verstöße gegen die Freizügigkeit im Schengen-Raum häufen sich. Anlässlich des 40. Jahrestags des Schengener Abkommens haben die luxemburgischen Behörden nicht versäumt, auf das wirtschaftliche Risiko hinzuweisen, das die Kontrollen für die Attraktivität des Landes darstellen. Insbesondere für die deutschen Pendler, die an Staus auf dem Heimweg weiter leiden. Die Kontrollen verlängern zudem die Transitzeiten für Lastwagen, lassen die Umsätze im Einzelhandel sinken und vor allem, „verstärken das Gefühl nationaler Spaltung und zerstören das Vertrauen zwischen den Grenzgemeinschaften“, erklärte der luxemburgische Innenminister Léon Gloden.
Auch wenn die derzeitigen Kontrollen der deutschen Behörden besonders streng erscheinen: Frankreich hat ein Ausnahmeregime verlängert, das seit 2015 ebenfalls Grenzkontrollen erlaubt. Belgien wiederum hat soeben eine Verstärkung der Kontrollen gegen illegale Einwanderung „an den Eingängen“ seines Staatsgebiets (Straßenachsen, Bahnhöfe und Flughäfen) angekündigt.
Unternehmer bleiben diskret
Ist dies ein Beweis dafür, wie sensibel das Thema Migration in der öffentlichen Debatte ist? Die Stimmen der Unternehmer zu den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Kontrollen bleiben auffallend leise. Die deutlichsten Reaktionen kommen von Politikern. Mehrere Abgeordnete des stark europäisch geprägten Saarlands meldeten sich nach der Entscheidung der Bundesregierung im Mai vergangenen Jahren. Die Bürgermeisterin von Straßburg, Jeanne Barseghian, und der Oberbürgermeister von Kehl, Wolfram Britz, verfassten zwei gemeinsame Briefe an Bundeskanzler Merz und die französische Abgeordnete Brigitte Klinkert, die zugleich Vorsitzende der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung ist. Die Stadtoberhäupter fordern, dass die Kontrollen den grenzüberschreitenden Alltag nur in Ausnahmefällen beeinträchtigen dürfen. In ihren Schreiben verweisen sie auf zahlreiche Argumente, die die negativen Folgen der Kontrollen für die wirtschaftliche Aktivität aufzeigen.

Die Bürgermeisterin von Straßburg, Jeanne Barseghian, und der Oberbürgermeister von Kehl, Wolfram Britz. © Annette Lipowsky
„Nach fünf Wochen intensiver Kontrollen häufen sich bei uns die Beschwerden und betreffen nahezu alle Lebensbereiche. (…) Unternehmer äußern uns gegenüber die Sorge, qualifizierte Arbeitskräfte aus Straßburg und Umgebung zu verlieren“, warnen die Bürgermeisterin von Straßburg, Jeanne Barseghian, und der Oberbürgermeister von Kehl, Wolfram Britz.
Etwa 4.000 Grenzgänger aus der Region Straßburg arbeiten in Kehl, und 50 % der Kundschaft des Einzelhandels in Kehl stammt aus dem Umland der elsässischen Hauptstadt. Zwischen dem 3. Mai – also vor der Einführung der verschärften Kontrollen – und Anfang Juni hat sich die Besucherzahl in der Kehler Fußgängerzone halbiert. Zudem sind Transportunternehmen, die Betriebe beliefern, häufig gezwungen, weite Umwege in Kauf zu nehmen, um Staus zu umgehen. „Allein bei einem Transportunternehmen in Kehl bedeutete das in den vergangenen fünf Wochen mehrere Tausend zusätzliche Kilometer für den gesamten Lkw-Fuhrpark – was auch eine zusätzliche Luftverschmutzung zur Folge hat“, betonen die beiden Bürgermeister.
Eine veränderte Stimmung
„Die nationalen Politiker verstehen nicht, wie wir hier funktionieren. Kehl und Straßburg bilden eine echte Einheit. Die Corona-Krise war das perfekte Beispiel, wir konnten zusammenhalten“, ärgert sich Annette Lipowsky, Büroleiterin des Bürgermeisters.
Die Büroleiterin beschreibt eine veränderte Stimmung: „Bereits durch Covid belastet, denken einige Franzosen, die in Kehl wohnen, darüber nach, wieder nach Straßburg zurückzuziehen. Was die Unternehmer betrifft, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, so wollen sie sich bei ihrer Arbeit nicht noch zusätzlich behindert fühlen“, stellt sie fest.
Der am 14. Mai an Friedrich Merz gesandte Brief blieb bisher unbeantwortet. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung möchte, dass sich etwas bewegt. Die Versammlung, bestehend aus 100 französischen und deutschen Abgeordneten, überwacht die Umsetzung der Élysée-Verträge (1963) und von Aachen (2019), die die Zusammenarbeit und Integration zwischen beiden Ländern stärken sollen. Bei der Plenarsitzung am 16. Juni beschlossen die Abgeordneten, die beiden Innenminister in Kürze anzuhören. In ihrer Antwort an die Bürgermeister von Straßburg und Kehl vom 19. Juni erklärte Brigitte Klinkert, Vorsitzende der Kommission für Außenangelegenheiten, dass sie sich bereits gemeinsam mit anderen Parlamentariern beider Länder an die Minister gewandt habe, um eine Lockerung der Kontrollen zu fordern.
Der AgZ wurde umgangen
Die französische Abgeordnete bedauert zudem, dass der Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (AgZ) von den deutschen Behörden nicht eingeschaltet wurde. Das durch den Vertrag von Aachen eingerichtete binationale Gremium vereint alle politischen und administrativen Entscheidungsebenen, um die Zusammenarbeit auf grenzüberschreitender Ebene zu verbessern. Der Vorfall erinnert an die schmerzhafte Entscheidung der Bundesrepublik, ihre Grenzen während der Covid-Pandemie einseitig zu schließen. Als Mitglied des AgZ hat Brigitte Klinkert die Aufnahme des Themas in die Tagesordnung der nächsten Sitzung des AgZ am 15. Juli in Mainz beantragt, in der Hoffnung, dass die deutsche Regierung dort Lösungen vorlegt.
Der Tourismus fürchtet den Zusammenbruch
Die Befürworter einer Lockerung der Grenzkontrollen können ein anschauliches Beispiel zwischen Kehl und Straßburg vorbringen, um ihre Argumente zu untermauern. Èinen Monat lang, ab dem 28. Juli werden im Rahmen von Wartungsarbeiten auf der Strecke zwischen Kehl und Straßburg die Straßenbahnen durch Busse ersetzt. „Viele Touristen, die Straßburg besuchen, sind in Kehl untergebracht, und die Zahl der Fahrgäste in den Straßenbahnen steigt im Sommer. Kehl ist nach Rust [wo sich der die zweitgrößte Stadt im Landkreis hinsichtlich der jährlichen Übernachtungszahlen. Die Straßburger Verkehrsgesellschaft kann es sich jedoch nicht leisten, dass ihre Busse durch Staus auf dieser Rheinseite blockiert werden“, befürchtet Annette Lipowsky.
© André Faber