Luxemburg

„Temps de Trajet“: an der Grenze zwischen Graphic Novel und Sozialpolitik

Für ihr erstes gemeinsames Projekt erzählen und skizzieren Jessica Lopes und der Zeichner Charl Vinz die Wege von dreizehn Arbeitnehmern zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz.

Livre
Das Buch ist am 24. September erschienen und in luxemburgischen Buchhandlungen erhältlich © Point Nemo Publishing

Das Buch trägt den Titel „Temps de Trajet“ und lässt keinen Zweifel über seinen Inhalt aufkommen. Auf fast 130 Seiten werden die Fahrten von Arbeitnehmern nach Luxemburg beschrieben. Die Analyse gelingt dank einer anschaulichen Erzählung, die durch eine Feldstudie ermöglicht wurde.

Ein Jahr lang begleiteten Jessica Lopes und Charl Vinz dreizehn Personen aus Luxemburg oder dem Grenzgebiet nach der Methode der teilnehmenden Beobachtung: Sie teilten ihre Wege und Schwierigkeiten, ohne ihnen Gesprächsthemen aufzuzwingen.

Jessica et Charl

Sie studierte Soziologie und machte das Zeichnen zu ihrem Beruf © Jessica Lopes - Charl Vinz

Ich habe Soziologie studiert und diese Methode beim Verfassen meiner Abschlussarbeit ausprobiert. Sie ermöglicht es dem Forscher, an der von ihm beobachteten Situation teilzuhaben. Mit Charl konnten wir die Dinge wirklich erleben!”, erklärt Jessica Lopes, Forschungs- und Ausbildungsbeauftragte im Sozialbereich in Luxemburg.

Mit seinem Smartphone dokumentierte Charl Vinz jede ihrer Reisen und ließ sich davon zu den Illustrationen inspirieren. Jede Figur wird porträtiert, mit Details, die sie mit ihrer Geschichte verbinden, wie beispielsweise die Zuganzeigetafel in der Bahnhofshalle. Mit diesem Projekt legt der luxemburgische Zeichner sein erstes Werk vor, das in allen Buchhandlungen zum Preis von 25 Euro erhältlich ist.

13 Profile: 13 Geschichten

Die Figuren sind vielfältig: Nicolas fährt mit dem Auto nach Luxemburg, während Lindita mit dem Zug in die Hauptstadt fährt. Marco muss nur ein kleines Stück zu Fuß zurücklegen, während Laura es vorzieht, mit dem Fahrrad in der Hauptstadt des Großherzogtums unterwegs zu sein.

Anabela ist Reinigungskraft in einem Gymnasium und wohnt an der Grenze in Villerupt. Ein Bus verbindet die beiden Länder und ist oft überfüllt. In Frankreich hält er nicht immer an derselben Stelle, und in Hollerich muss Anabela, nachdem sie die Räumlichkeiten gereinigt hat, draußen auf ihn warten. Es gibt weder eine Bank zum Sitzen noch ein Dach zum Schutz vor Regen. Trotz der kostenlosen öffentlichen Verkehrsmittel ist das Leben für die Menschen, die Luxemburg am Laufen halten, alles andere als rosig, und nicht alle können davon profitieren. Jewels arbeitet nachts in einer Bar, und wenn er seine Schicht beendet, fahren schon keine Busse mehr. Um nach Hause nach Audun-le-Tiche zu kommen, benutzt er sein eigenes Auto. Achtzig Euro für Benzin pro Woche: Das ist der Preis, den man zahlen muss, um in der Hauptstadt zu arbeiten.

Fokus auf Ungleichheiten

Der Schreibstil ist subtil, die Zeichnungen sind fein und das Werk liest sich wie ein Comicroman. Im Hintergrund hinterfragen Jessica und Charl die Gesellschaft und deren Ungleichheiten.

Flexible Arbeitszeiten sind oft Büroangestellten vorbehalten, während diejenigen, die schwere körperliche Arbeit verrichten, pünktlich sein müssen. Die Niedrigverdiener können sich selten eine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes leisten, was ihre Wege erheblich verlängert. Nenad könnte umziehen, aber er kann sich nicht vorstellen, Metz zu verlassen, und steht lieber früh aus, um einen Sitzplatz im Zug zu bekommen und seine Nacht fortzusetzen.

Jessica Lopes und Charl Vinz berichten über Verspätungen im Nahverkehr, erwähnen den unterbrochenen Schlaf und sprechen über die Auswirkungen auf die Lebensqualität... Indem sie die Erzählungen miteinander verflechten, schaffen sie Perspektiven und regen zum Nachdenken an: Wenn Adrien mit seinem Tesla über die belgischen und luxemburgischen Autobahnen fährt, ist das Fahren angenehmer als mit einem alten Diesel. Xavier fährt diese Strecke regelmäßig, aber die Vorsicht, die er am Steuer aufrechterhalten muss, und die zahlreichen Stunden Fahrt strapazieren und schaden seinem Körper.

„Das war für uns entscheidend. Wie sollten wir es erzählen? Welche Worte sollten wir verwenden? Wie sollten wir es illustrieren? Wir haben uns in die Lage von Menschen versetzt, die nicht unserer Meinung sind, und uns gesagt: „Sie werden das lesen.“ Wir durften sie nicht von vornherein abschrecken, sondern mussten die Dinge behutsam angehen“, erklären sie einstimmig. Jessica Lopes und Charl Vinz hoffen dennoch, dass ihre narrative und grafische Gestaltung ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit und in der Politik schafft.

Reflexion über die Zeit

Célia avec Jessica

Jessica begleitet ihre Landsfrau auf ihrer täglichen Reise durch das Land © Charl Vinz

Lange Fahrten sind nicht nur Grenzgängern vorbehalten: Dorès verbringt durchschnittlich 25 Kilometer im Stau, Célia fast zwei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber keine von beiden wird dafür zusätzlich bezahlt. Die Berufshaftpflichtversicherung greift hingegen im Falle eines Unfalls.

Charles Vinz urteilt ohne zu zögern: „Diese Zeit wird den Menschen genommen, sie ist verloren! Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beitragen wird, die Fahrzeiten sichtbar zu machen und über die Themen zu sprechen, die wichtig sind.“ Er teilt mit seiner Partnerin eine linke militante Vision und plädiert für eine Verkürzung der Arbeitszeit. Jessica hat den Bericht übrigens mit Überlegungen von Experten (Soziologen, Politikern, Aktivisten) ergänzt. Sie machen keinen Hehl daraus: Mit diesem soziopolitischen Essay möchten sie etwas bewegen.

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